Dr. Uwe Haupenthal
Rede zur Eröffnung der Ausstellung »Michael Zabe. Malerei und Plastik«

Kulturhaus Remise Bad Segeberg, 17. September 2014

Meine Damen und Herren, man mag das andernorts kaum für möglich halten, aber von der nordfriesischen Küste geht eine besondere Wirkung aus. Nicht nur auf Schriftsteller, Poeten und bildende Künstler, aber eben auch! Vergleichsweise spät, d.h. erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wurde dieser Landstrich »entdeckt«, d. h. überhaupt für bildwürdig erachtet. Die Rezeption dieser Landschaft hatte vor allem mit der Entwicklung der Malerei zu tun. Erst der Impressionismus ermöglichte es, dass sich die Maler mit dem »Nichts«, d. h. mit einem weithin leeren Ambiente befassen konnten. Und Emil Nolde war es, der diese Bilder zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch einmal vereinfachte und demzufolge radikalisierte.

Mehr noch: Nolde besetzte gleichsam die Landschaft seiner Heimat auf Jahre hin. Er prägte deren bildnerische Erscheinung so entschieden, dass andere Maler, wie etwa Friedrich Karl Gotsch oder Albert Johannsen, dagegen nicht recht angehen konnten und letztendlich in seinem Schatten blieben.

Nach einer Zeit der Stille firmierte sich jedoch eine neue Generation, die sich anderweitig orientierte und die Noldes Expressionismus nicht länger als verbindlichen Maßstab anerkannte. Dazu gehört seit Mitte der 1970er Jahre auch Michael Zabe, der selbst aus Nordfriesland, d. h. aus Husum, stammt und die Bindung an seine Heimat bis auf den heutigen Tag nicht gänzlich aufgegeben hat, obwohl er schon seit Jahrzehnten nahe der schleswig-holsteinischen Ostküste lebt. Zabe wuchs gleichsam mit nordfriesischen Malern wie Hans Peter Feddersen, Jacob Alberts, Gotsch oder Albert Johannsen auf, mit dem er als junger Mann noch befreundet war. Mit anderen Worten: Zabe kannte zwar deren Kunst, doch scheint ihn diese nicht allzu sehr belastet zu haben. Während seines Studiums der Kunsterziehung und der Kunstgeschichte in Mainz und später am Royal College of Art in London und in Paris stellte die Befreiung aus den Fesseln der heimatlichen Kunst sichtbar keine allzu große Herausforderung dar, wenngleich er im Gegenzug jedoch auch nach wie vor eine emotionale Bindung an die Landschaft der schleswig-holsteinischen Westküste konstatiert werden muss, was eine Reihe auch in dieser Ausstellung gezeigter, oft großformatiger Bilder eindrücklich bewegt. Offenbar bot ihm der heimatliche Landschaftsprospekt noch immer einen gewichtigen bildnerischen Anlass, wobei von der beschriebenen kosmischen Leere ein zentraler Impuls ausgeht. Zabe interessiert sich nicht länger für eine beschreibende oder gar erzählende Wiedergabe gesehener Wirklichkeit vor Ort, sondern er beschränkte sich auf eine allgemeine, weit mehr erinnerte, wenn nicht gar neutralisierte Erfahrung von Wirklichkeit, zumal er nicht selten Winterbilder mit fahlem Himmel und einer geschlossenen Schneedecke präferierte. Er tut das im Übrigen noch heute, was die jüngst entstandenen Bilder belegen. So gesehen sucht er nach einer konzeptuell tragenden Verbindung zwischen Landschaft und den sichtbar bzw. erlebbar gemachten Bedingungen von bildnerischer Arbeit. In ihr, respektive vor der Folie gesehener und erlebter landschaftlicher Leere, gibt es zudem keinen wertenden Unterschied zwischen Malerei und Grafik.

Beides ereignet sich von einem, im wahrsten Sinne des Wortes, imaginierenden, d. h. bilderzeugenden Nullpunkt aus. Malerei und Grafik wie das bildnerische Tun als solches besitzt demnach auch keine vorgegebene, nicht länger hinterfragte, weil auf Grund von Tradition kritiklos akzeptierte Wertigkeit, sondern sie wird von Michael Zabe in einem bewusst vollzogenen Akt voraussetzungslos und neu erlebt.

Das galt im Übrigen auch für das Abbildliche. Da die nordfriesische Landschaft mit ihrer teilenden Horizontlinie zwischen hohem Himmel und flacher Bodenflache sui generis wenige, optisch reizvolle Augenfänger bietet, stellt sich Michael Zabe die Frage nach deren bildnerischer Inszenierung gegenüber altbekannten landschaftlichen Konventionen von gänzlich anderer Warte aus. Die horizontale Teilung der Bildfläche mutiert zu einem elementaren Akt, der zunächst weniger einer sich rasch verfestigenden Abbildlichkeit geschuldet ist, als dass sie eine allgemeine Gliederung vorgibt, deren Sinnhaftigkeit sich freilich zuvorderst aus dem übergeordneten Kontext heraus erschließt. In diesem Sinne mag etwa eine wuchtig angelegte, dunkle Fläche den Boden oder gar einen Acker bezeichnen, auf dem sich schematisierte Figuren bewegen.

Eine Reihe von Bildern weisen aber auch einen »schiefen« Horizont aus, der gleichsam das gesamte Bild ins Rutschen bringt. Es ist dies nicht zuletzt eine Dynamisierung, die den Betrachter endgültig aus seiner vermeintlich gesicherten Position vertreibt und ihn im Gegenzug zu einem visuell und in seinem Körpergefühl zu aktiv Handelnden erklärt.

Schematisiert wiedergegebene Figuren ergeben sich ebenfalls aus dem großen Ganzen heraus, wobei ihre Abbildlichkeit durch wenige Veränderungen ausgelöst werden konnte. Malerei erscheint als ein im Grunde offener Prozess, der sich ebenso partiell verdichten, wie er sich an anderer Stelle verflüchtigen kann.

Auffallend indes, dass Michael Zabe bereits in seinen frühen Bildern das große Format bevorzugt. In diesem kann er sich sozusagen gestisch ausleben, d. h. sich selbst sichtbar und für den Betrachter erlebbar, d. h. als bildnerisch aktiv Handelnder einbringen.

Augenscheinlich sind seine Bilder von ihm abhängig, und sie kehren eine subjektiv begründete Note hervor. Gleichwohl wird diese demonstrative Nahe durch das große Format in die Schranken gewiesen, denn dieses weist selbst eine Tendenz zur Verselbständigung aus, die ihrerseits von außen letztendlich nicht mehr zu kontrollieren ist. Damit aber näheren sich die tatsächlich erlebte Wirklichkeit und diejenige des Bildes auf genuine Weise einander an. Folglich kann es in Zabes Bildern auch nicht länger um die bloße Wiedergabe des so gesehenen gehen, sondern vielmehr um die adäquate Bewältigung des Natureindrucks im Bild selbst, und zwar mit den ihm zur Verfügung stehenden bildnerischen Mitteln, der Farbe, der Linie, der breiten Flache, des Skriptural-Kleinteiligen und so fort. Er selbst mutiert dabei jedoch zum entscheidenden medialen Vermittler zwischen äußerer und innerer, d. h. erlebter oder auch bloß gedachter Wirklichkeit und den ausgreifend-eigengesetzlichen Bedingungen des Bildes. Anders formuliert: In seiner Malerei ruft Michael Zabe Geister, die er alsbald nicht mehr kontrollieren kann, – die ihm aber auch womöglich in der Landschaft vor Ort begegnet sein mögen. Es sind dies bizarre, maskenhaft verzerrte Figuren, Hirngespinste, die sich einstellen, wenn man mit etwas nicht mehr zu Bewältigendem konfrontiert wird. Bei Storm gab es sie, etwa im »Schimmelreiter«, aber auch bei Nolde und anderen. Auch bei Zabe wirken sie nicht aufgesetzt, weil bloß literarisch oder kunsthistorisch zitiert, sondern vielmehr wie selbst erfahren und aus seiner Malerei und aus deren spezifischen Bedingungen abgeleitet.

In den jüngst entstandenen Bildern greift Michael Zabe das Thema der nordfriesischen Winterlandschaft wieder auf, wenngleich er sich nun weit entschiedener zu disziplinieren vermag und die bildnerischen Mittel gezielter, konzentrierter und im Endergebnis auch geschlossener einzusetzen vermag. Verschneite Bäume etwa entwickeln so abermals ein metamorphes Eigenleben und können beinahe gestalthaften Charakter annehmen. Gleiches gilt aber auch für die lodernden Flammen beim Biikebrennen. Und die schematisiert wiedergegebenen Figuren, ob nun vereinzelt oder in Gruppen, weisen die nordfriesische Landschaft wiederum als einen existenziell fordernden Lebensraum aus, der in seiner entgrenzenden Unwirtlichkeit mitunter auch bedrohlich wirken kann.

Meine Damen und Herren, wir kennen Michael Zabe zuvorderst als Maler und Zeichner. Weniger bekannt ist hingegen, dass er sich auch seit seiner Studienzeit mit plastischer Arbeit auseinander setzt. Nun gibt es sicherlich viele Maler, die auch das Plastische irgendwann reizt und die sich darin versuchen. Zabes künstlerische Arbeit hingegen bezeugt indes eine genuine, den verschiedenen bildnerischen Gattungen vorgelagerte Ebene, die, ganz allgemein gesprochen, um die existenzielle Befindlichkeit des Menschen kreist. Nicht nur, dass diese in der Masse versinken kann, wobei nebenbei bemerkt auch an seine Beschäftigung mit dem Phänomen Fußball erinnert werden muss, Zabe hat seit 1977 eine Reihe von gefängnisartigen plastischen Inszenierungen geschaffen, die sich ebenfalls, zumindest in Teilen, aus der ungegliederten Materie heraus entwickeln, die sich partiell verfestigen, die damit klare und eindeutige Bezüge herstellen, zugleich aber auch für eine bildnerische Entgrenzung einstehen. Dazu erfindet er geradezu surreal anmutende Geschichten, die er in den Bildtiteln zum Besten gibt: »Freiheitsentzug mit Briefkasten« etwa oder »Der ermordete Gartenzwerg (er war noch brühwarm, als die Presse ihn gefunden hat)«. Witz, Ironie schlagen unversehens und ohne Vorwarnung ins Groteske, ins Absurde oder aber ins: angstbehaftete Bedrohlichkeit um. Und wiederum ist es die auch in seinen Bildern konstatierte Leere, die das eigentliche bildnerische Ausgangsmotiv bestimmt. Wie in seinen Bildern interessiert Zabe auch in seiner Plastik das große, das übergeordnete Erlebnis, und er sucht dazu, jenseits einer bloß beschreibenden Wiedergabe, eine angemessene bildnerische Form. Diese setzt zwar noch immer einen eindeutigen Bezug zur gesehen wie zur erlebten Wirklichkeit voraus, doch gesteht Zabe eben auch den bildnerischen Mitteln ein hohes Maß an bildnerischer Eigeninitiative zu. Sie bedingt im Werkprozess nicht nur willkommene Überraschungen, sondern sie beansprucht letztendlich eine eigene, originäre Überzeugungskraft, die eben nicht nur vordergründig zu gefallen vermag, sondern die zugleich auch irritiert und einen ästhetischen Wachzustand voraussetzt. Dabei kann es freilich keinen formelhaften, gemeinsamen Nenner geben, sondern allenfalls eine immer wieder neue Annäherung an das Wirkliche und damit, in letzter Konsequenz, an sich selbst. Wie in der Romantik erscheinen die äußeren wie die inneren Welten in diesem Zusammenhang endlos.